ZWeR 2022, 377

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2199-1723 Zeitschrift für Wettbewerbsrecht ZWeR 2022 AufsätzeJochen Glöckner*

Richtlinien- und wettbewerbskonforme Auslegung bestimmter Verbote unlauterer Handelspraktiken im Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz

Im Gefolge der Landwirtschaftskrise 2014/15 forcierte das Europäische Parlament ein bereits laufendes, Lieferketten und nachfragebedingte Abhängigkeiten allgemein adressierendes Gesetzgebungsverfahren. Als Ergebnis wurde im Jahr 2019, gestützt auf die besondere Agrarkompetenz des Art. 43 Abs. 2 AEUV, die Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelerzeugerkette (UHP-Richtlinie) erlassen. Der deutsche Gesetzgeber setzte die Richtlinie im Agrarorganisationen- und-Lieferketten-Gesetz um. Von der im Rahmen der Mindestharmonisierung geschaffenen Möglichkeit weiterreichender Umsetzung wurde an mehreren Stellen Gebrauch gemacht. Es kommt hinzu, dass weder die nach außerordentlich kurzem Gesetzgebungsverfahren erlassene Richtlinie noch das deutsche Umsetzungsgesetz Gelegenheit hatten, begrifflich und legistisch zu reifen. Unklarheiten bei der Reichweite der besonderen Verhaltensnormen bedürfen daher der Auflösung.
Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend im Anschluss an eine Grundlegung (I.), in welcher die Entstehung der neuen Vorschriften zusammengefasst (I.1.) und die wirtschaftliche Ausgangsproblematik erläutert werden (I.2.), auf die Art. 3 UHP-Richtlinie zugrundeliegenden Schadenstheorien (II.) und deren Konsequenzen für die Anwendung der zusätzlichen Verbotstatbestände (III.) eingegangen. Abgeschlossen wird der Beitrag durch zusammenfassende Thesen (IV.)

Inhaltsverzeichnis

  • I. Grundlegung
    • 1. Entstehung der Regelungen
      • 1.1 Preissprünge und Preisverfall bei landwirtschaftlichen Urerzeugnissen
      • 1.2 Reaktionen der RL 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette
        • 1.2.1 Mindestharmonisierung, Art. 1 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 UHPRL
        • 1.2.2 Doppelt beschränkter Anwendungsbereich
        • 1.2.3 Spezifische Verbote, Art. 1 Abs. 1, Art. 3 UHPRL
        • 1.2.4 Anknüpfungsmerkmale, Art. 3 UHPRL
      • 1.3 Umsetzung im Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz (AgrarOLkG)
    • 2. Wirtschaftliche Ausgangsproblematik
      • 2.1 Agrarerzeugung als „besonderer Markt“
      • 2.2 Agrarerzeugnisse und Lebensmitteleinzelhandel
      • 2.3 Lebensmitteleinzelhandel als zugleich hochkonzentrierter und -kompetitiver Markt
      • 2.4 Lebensmitteleinzelhandel, Landwirte und die Kaskadentheorie
      • 2.5 UHP-Richtlinie als wettbewerbsnahe Regulierung zur Kompensation von Marktunvollkommenheiten
  • II. Schadenstheorien und Begründungslogik der Regelungen über unlautere Handelspraktiken
    • 1. „Schwarze“ und „Graue Liste“
      • 1.1 Schadenstheorie bei den Tatbeständen der „grauen Liste“
      • 1.2 Schadenstheorien bei den Tatbeständen der „schwarzen Liste“
        • 1.2.1 Ihrer Art nach unlautere Handelspraktiken
        • 1.2.2 Einseitige und nachträgliche Verhaltensweisen
    • 2. Folgen der unterschiedlichen Regelungsformen
    • 3. „Graue Liste“ und effiziente Vertragsgestaltung
  • ZWeR 2022, 378
  • III. Konsequenzen für die Rechtsanwendung
    • 1. Anwendungsmaximen beim Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz
      • 1.1 Bindende Wirkung der UHP-Richtlinie
      • 1.2 Grenzen der Bindungswirkung
      • 1.3 Konsequenz für die Anwendung der über die UHP-Richtlinie hinausreichenden Tatbestände im AgrarOLkG
        • 1.3.1 „Offenes“ gold plating
        • 1.3.2 „Verdecktes“ gold plating
        • 1.3.3 Richtlinienkonforme Auslegung und teleologische Reduktion auf widerlegbare Vermutungen
    • 2. Vereinbarung über das Zurückschicken nicht verkaufter Erzeugnisse, § 12 AgrarOLkG
      • 2.1 Kommissionsmodell
      • 2.2 Pay-on-Scan-Modelle
      • 2.3 Ökonomische Rechtfertigung in Ausnahmefällen
    • 3. Vereinbarung von Zahlungen für die Lagerung von Erzeugnissen, § 14 AgrarOLkG
      • 3.1 Begründung
      • 3.2 Teleologische Reduktion
    • 4. Vereinbarung über einseitige Vertragsänderung, § 15 AgrarOLkG
    • 5. Vereinbarung über Kostenübernahme durch den Lieferanten, § 16 AgrarOLkG
      • 5.1 Strukturen
      • 5.2 Kosten von Qualitätsverschlechterungen nach Gefahrübergang, § 16 Abs. 1 Nr. 1 AgrarOLkG
      • 5.3 Kosten der Bearbeitung von Kundenbeschwerden, § 16 Abs. 1 Nr. 2 AgrarOLkG
      • 5.4 Kosten, die nicht in spezifischem Zusammenhang mit den Lieferungen entstanden sind, § 16 Abs. 2 AgrarOLkG
    • 6. Vereinbarung über Zahlungen für die Listung von Erzeugnissen, § 17 AgrarOLkG
      • 6.1 Strukturen
      • 6.2 Markteinführung von Erzeugnissen
  • IV. Zusammenfassende Thesen
*
*)
Prof. Dr. iur., LL.M. (USA), Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Konstanz; Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe.
Der Beitrag beruht auf Vorarbeiten des Verf. im Rahmen eines Rechtsgutachtens für den Handelsverband Deutschland (HDE) e. V.

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