ZWeR 2021, 565
Regelungsautonomie der Sportverbände vs. Kartellverbot – Zum Anwendungsbereich der Meca-Medina-Ausnahme
Dieser Beitrag klärt das Verhältnis zwischen sportverbandlicher Regelungsautonomie und Kartellverbot. Ausgangspunkte sind das grundlegende Urteil des EuGH in der Rechtssache Meca-Medina und die Anwendung der vom Gerichtshof in Meca-Medina aufgestellten Grundsätze durch das EuG im Fall ISU. Der Beitrag weist nach, dass die vom Gerichtshof judizierte Einschränkung des Kartellverbots im Fall „rein sportlicher Regelwerke“ ihre Grundlage in der verfassungsrechtlich geschützten Vereinigungsfreiheit und der daraus resultierenden Regelungsautonomie der Verbände hat. Vor diesem Hintergrund lässt sich die vom EuGH in Meca-Medina durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung dogmatisch als Versuch deuten, praktische Konkordanz zwischen Verbandsautonomie und Wettbewerbsschutz herzustellen (II.5.). Angesichts der zentralen Bedeutung, die dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit als Bezugspunkt der Meca-Medina-Ausnahme zukommt, wird die sachliche und persönliche Reichweite der Meca-Medina-Ausnahme aufgefächert und abgegrenzt (III.1., III.2.). Unterschieden werden vier Grundtypen verbandlicher Regelwerke (I.2.). Es zeigt sich, dass Sportausübungsregeln im engeren und im weiteren Sinne sowie interne Organisationsregeln (Verbandsregeln des Typs 1 und 2) in den Schutzbereich der Verbandsautonomie fallen, weshalb hier eine Einschränkung des Kartellverbots aufgrund der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Betracht kommt. Der darüberhinausgehende Versuch von Sportverbänden, das wettbewerbliche Verhalten von Verbandsmitgliedern gegenüber verbandsexternen Dritten oder gar von verbandsexternen Dritten selbst zu reglementieren (Regelungen des Typs 3 und 4) erfährt demgegenüber keine Privilegierung im Hinblick auf das Kartellverbot.
Inhaltsübersicht
- I. Einführung
- 1. Meca-Medina als „Startschuss“ der Diskussion um das Verhältnis zwischen Wettbewerbsrecht und Sport
- 2. Vier Grundtypen sportverbandlicher Regelwerke
- II. Dogmatik der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung sportverbandlicher Regelungen
- 1. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf den Sportsektor
- 2. Einschränkung der Wettbewerbsregeln aufgrund Verhältnismäßigkeitsprüfung
- 3. Verbandsautonomie als Begründung für die ausnahmsweise Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung
- 3.1 Bezugnahme auf die Entscheidungen Walrave und Koch, Donà, Bosman und Deliège sowie auf Wouters
- 3.2 Bezugnahme auf „Regelwerke“, „Regeln rein sportlicher Natur“ (Meca-Medina) und die sportverbandliche „Reglementierungsfunktion“ (ISU)
- 3.3 Wouters-Doktrin und Regelungsautonomie in Sachverhaltskonstellationen außerhalb des Sportbereichs
- 3.4 Grenzen der Wouters-Doktrin
- 3.5 Zwischenergebnis
- 4. Wouters-Doktrin als Ausprägung des Immanenzgedankens?
- 5. Herstellung praktischer Konkordanz durch die Wouters-Doktrin
- 6. Freistellung vom Kartellverbot, Art. 101 Abs. 3 AEUV
- 7. Zwischenergebnis
ZWeR 2021, 566
- III. Schutzbereich der Verbandsautonomie von Sportverbänden
- 1. Sachlicher Schutzbereich der Verbandsautonomie: „Rein sportliches Regelwerk“
- 1.1 Sportausübungsregeln (Verbandsregeln des Typs 1)
- 1.1.1 Sportausübungsregeln im engeren Sinne („Spielregeln“)
- 1.1.2 Sportausübungsregeln im weiteren Sinne („Teilnahmeregeln“)
- 1.1.3 Ausschluss von der Teilnahme und andere Sanktionen im Fall des Verstoßes gegen rein sportliche Regeln
- 1.1.4 Regeln über die Wettkampforganisation
- 1.2 Regeln zur Verbandsorganisation (Verbandsregeln des Typs 2)
- 1.2.1 Schiedsgerichtliche Streitbeilegung insbesondere
- 1.2.2 50+1-Regel insbesondere
- 1.3 Regeln „rein wirtschaftlichen Charakters“
- 2. Persönlicher Schutzbereich der Verbandsautonomie
- 2.1 Regelung verbandsinterner Sachverhalte und Rechtsbeziehungen
- 2.2 Erweiterung des persönlichen Schutzbereichs auf angestellte Sportler als funktionale Verbandsmitglieder
- 2.3 Grenzen der Figur des funktionalen Verbandsmitglieds
- 3. Die Grenzen der sportverbandlichen Regelungsautonomie: Reglementierung verbandsexterner Sachverhalte und Rechtsbeziehungen
- 3.1 Regelungen mit Drittwirkung in der Schutzbereichsdogmatik der Verbandsautonomie
- 3.2 Reglementierungen des Typs 4: Beschränkung des wettbewerblichen Verhaltens von verbandsexternen Dritten
- 3.2.1 Reglementierung des Marktverhaltens von Wettbewerbern des regelsetzenden Verbandes
- 3.2.1.1 Von Verbänden aufgestelltes Genehmigungserfordernis (Rechtssache ISU)
- 3.2.1.2 Verbandliches Einverständnis als Voraussetzung für behördliche Genehmigung (Fall MOTOE)
- 3.2.2 Reglementierung des wettbewerblichen Verhaltens sonstiger Dritter
- 3.2.2.1 Beschränkung des wettbewerblichen Verhaltens u. a. von Fernsehanstalten (FIA)
- 3.2.2.2 Registrierungsvoraussetzungen für Spielervermittler (LG und OLG Frankfurt/M.)
- 3.3 Reglementierungen des Typs 3: Beschränkung des wettbewerblichen Verhaltens der Verbandsmitglieder gegenüber verbandsexternen Dritten
- 3.3.1 Das an Sportler gerichtete Verbot der Beteiligung an nicht genehmigten Wettkämpfen konkurrierender Veranstalter (Fall ISU)
- 3.3.2 Beschränkung des wettbewerblichen Auftretens der Verbandsmitglieder als Anbieter auf vom Sportereignis abgeleiteten Drittmärkten
- 3.3.2.1 Das an Vereine gerichtete Verbot der Vermarktung von Übertragungsrechten
- 3.3.2.2 Das an Sportler gerichtete Verbot der Vermarktung ihrer Person
- 3.3.3 Beschränkung des wettbewerblichen Auftretens der Vereine und Sportler als Nachfrager auf dem Drittmarkt der Spielervermittlung
- IV. Zusammenfassung und Ergebnis
- *
- *)Prof. Dr. iur., Maître en Droit (Aix-Marseille III), Inhaber des Lehrstuhls für globales Wirtschaftsrecht, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Bürgerliches Recht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Der Beitrag geht auf eine Anfrage aus der Praxis zurück.
- **
- **)Dr. iur., Akademischer Rat a. Z., ebenda
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