ZWeR 2021, 273

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2199-1723 Zeitschrift für Wettbewerbsrecht ZWeR 2021 AufsätzeKatharina Apel* / Romina Polley**

„Gap cases“ in der formellen Fusionskontrolle der FKVO?

Der von der Kommission im März 2021 veröffentlichte Leitfaden zur Anwendung von Art. 22 FKVO ermutigt die nationalen Wettbewerbsbehörden dazu, auch Zusammenschlussvorhaben an die Kommission zu verweisen, die die nationalen Fusionskontrollschwellen nicht erreichen und ansonsten einer Fusionskontrolle in der EU entgehen. Im Mittelpunkt des Interesses der Kommission stehen dabei sog. Killer-Akquisitionen. Die neue Verweisungspraxis stellt einen der bedeutendsten Richtungswechsel in der formellen Fusionskontrolle seit dem Erlass der geänderten FKVO im Jahr 2004 dar und wurde im Verfahren Illumina/Grail schon vor Veröffentlichung des Leitfadens angewendet. Der vorliegende Beitrag diskutiert die Entstehungsgeschichte, Inhalt, Sinn und Zweck des Leitfadens und zeigt mögliche Risiken dieser gravierenden wettbewerbspolitischen Änderung auf. Es wird gezeigt, dass die von der Kommission unterstellte Regelungslücke nicht eindeutig empirisch belegt ist. Selbst wenn man eine Regelungslücke unterstellen würde, bleiben Zweifel an der Geeignetheit der neuen Kommissionspraxis, diese zu schließen. Auch einige nationale Wettbewerbsbehörden haben im Fall Illumina/Grail bereits Bedenken angemeldet, ob sie zur Verweisung unterhalb ihrer Schwellenwerte überhaupt befugt sind. Es ist fraglich, ob die neue Verweisungspraxis noch vom Sinn und Zweck des Art. 22 FKVO einer effizienten Fallverteilung gedeckt ist. Angesichts der systematischen Erfassung neuer Fallgruppen zielt der Leitfaden vielmehr auf die Schaffung zusätzlicher Kompetenzen der Kommission bei der Prüfung auch national nicht anmeldepflichtiger Zusammenschlussvorhaben, ohne die FKVO zu ändern. Der Beitrag erörtert die mit der neuen Verweisungspolitik verbundenen Konflikte mit den allgemeinen Prinzipien in der Kommissionmitteilung zur Verweisung von Fusionssachen und den ECA-Prinzipien, die erheblichen negativen Auswirkungen auf die materielle und prozedurale Rechtssicherheit und Rechtsschutzmöglichkeiten. Eine zeitnahe Überarbeitung des Leitfadens, in der Safe Harbors für bestimmte Fallgestaltungen und Industrien sowie in zeitlicher Hinsicht geschaffen werden, wäre wünschenswert. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Beitrag abschließend alternative fusionskontrollrechtliche Ansätze, die jedoch alle eine Änderung der FKVO erfordern und damit die Herausforderung beinhalten, Einstimmigkeit im Rat zu erzielen.

Inhaltsübersicht

  • I. Einleitung
  • II. Entstehungsgeschichte des Leitfadens
  • III. Begründung für die Änderung der Verweisungspraxis – Feststellungen zu einer möglichen Regelungslücke
    • 1. Methodik der Evaluierung
    • 2. Feststellungen der Kommission
      • 2.1 Empirische Untersuchungen
      • 2.2 Möglichkeiten und Grenzen des Verweisungssystems als Korrekturmechanismus
      • 2.3 Auswertung der Stellungnahmen von Interessenvertretern und weiteren Untersuchungen
      • 2.4 Ergebnis
  • ZWeR 2021, 274
  • IV. Der Leitfaden und der erste Anwendungsfall
    • 1. Materieller Test: Transaktionen mit Verweisungsrisiko
      • 1.1 Nichtabschließende Aufzählung möglicher relevanter Fallkonstellationen
      • 1.2 Relevante Industrien
    • 2. Erster Testfall
    • 3. Verfahren
  • V. Kritik an der neuen Verweisungspraxis der Kommission
    • 1. Regelungslücke nicht eindeutig empirisch belegt
    • 2. Änderung der Verweisungspraxis als geeignetes Instrument?
      • 2.1 Zweck des Art. 22 FKVO
      • 2.2 Konflikt mit den allgemeinen Prinzipien zur Verweisung und Empfehlungen des Special Adviser Report
        • 2.2.1 Geeignetere Behörde
        • 2.2.2 Grundsatz der einzigen Anlaufstelle
        • 2.2.3 Rechtssicherheit
          • 2.2.3.1 Materiell-rechtliche Rechtsunsicherheit in Bezug auf Verweisungskandidaten
          • 2.2.3.2 Beeinträchtigung der Transaktionssicherheit
    • 3. Rechtsschutzmöglichkeiten nicht geklärt
      • 3.1 Rechtsschutz gegen nationale Verweisungsanträge
      • 3.2 Rechtsschutz gegen die Verweisungsentscheidung der Kommission
    • 4. Ergebnis
  • VI. Alternative fusionskontrollrechtliche Ansätze
    • 1. Änderung der Umsatzschwellen
    • 2. Marktanteils- oder Share of Supply-Schwellenwerte
    • 3. Transaktionswertschwellen
    • 4. Unternehmens- oder sektorspezifische Ansätze
    • 5. Ex-post-Kontrolle
  • VII. Fazit und Ausblick
*
*)
Dr. iur, LL.M. (Harvard), Dipl-Vw., Rechtsanwältin und Counsel bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP in Köln.
**
**)
Dr. iur, LL.M. (Fordham), Rechtsanwältin und Partnerin bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP in Köln und Dozentin für deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Universität zu Köln. Die Autorinnen bedanken sich herzlich für die tatkräftige Unterstützung durch Herrn Rechtsreferendar Sebastian Meyer. Kollegen in anderen Büros von Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP beraten Illumina in kartellrechtlichen Angelegenheiten, einschließlich des anhängigen Illumina/Grail-Verfahrens. Die Autorinnen sind weder an diesem Verfahren noch an der Beratung von Illumina in kartellrechtlichen Angelegenheiten beteiligt.

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