ZWeR 2003, 73
Die Masterfoods-Entscheidung des EuGH
Bindung der Zivilgerichte an Kommissionsentscheidungen – Lehren für das neue Kartellverfahren?
I. Die Entscheidung1
1. Sachverhalt
II. Würdigung der Masterfoods-Entscheidung
1. Keine Bindung der Kommission an Entscheidungen der nationalen Zivilgerichte
2. Aussetzung oder Vorabentscheidungsersuchen: Vorrang des Kartellverwaltungsverfahrens?
III. Bindungswirkung von kartellrechtlichen Untersagungsverfügungen
1. Einordnung des Sachverhalts
2. Bindungswirkung von Verbotsverfügungen?
IV. Ausblick auf das neue Kartellverfahrensrecht
V. Zusammenfassung
Abstract
- *
- *)Dr. iur., Richter am Bundesgerichtshof, Honorarprofessor an der Universität Freiburg i. Br.
- 1
- 1)EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Rs C-344/98, Slg. 2000, I-11369 = WuW/E EU-R 389 = GRUR Int. 2001, 333 = NJW 2001, 1265 = EuZW 2001, 113 – „Masterfoods/HB Ice Cream“. Vgl. zu dieser Entscheidung Geiger, EuZW 2001, 116; Malferrari, Neues zur Kompetenzverteilung zwischen Kommission und nationaler Gerichtsbarkeit, EuR 2001, 605; Kamann/Horstkotte, Kommission versus nationale Gerichte – Kooperation oder Konfrontation im Kartellverfahren, WuW 2001, 458.
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- 2)In der deutschen Fassung des Urteils ist irrtümlich nur von dem Verfügungsantrag die Rede. Aus dem englischen Text ergibt sich jedoch, dass es sich um eine Unterlassungsklage handelte („a separate action for an injunction ...“).
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- 6)Dazu sogleich unter II 2.
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- 7)EuGH Slg. 2000, I-11369 = WuW/E EU-R 389 = GRUR Int. 2001, 333 = NJW 2001, 1265 = EuZW 2001, 113 – „Masterfoods/HB Ice Cream“, Tz. 48.
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- 8)Nach Art. 15 Abs. 3 Satz 3 und 4 KartVerfVO (Fußn. 5) steht in Zukunft auch der Kommission das Recht zu, sich an Verfahren vor nationalen Gerichten zu beteiligen, „sofern es die kohärente Anwendung der Art. 81 und 82 EG erfordert“.
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- 9)Es steht außer Frage, dass die Rechtskraft des Feststellungsurteils niemals den staatlichen Anspruch auf Untersagung eines verbotenen Kartells umfassen kann.
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- 10)Vgl. Wils, The Modernisation of the Enforcement of Articles 81 and 82 EC (unter IV B 4), in: Fordham Corporate Law Institute 2000 (B. Hawk ed. 2001). Die gewollte Unzulässigkeit der Feststellungsklage kam freilich in der Formulierung des Entwurfs („Die einzelstaatlichen Gerichte, vor denen das Verbot des Art. 81 Abs. 1 geltend gemacht wird, sind auch für die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 zuständig“) nicht deutlich zum Ausdruck. Art. 6 der verabschiedeten Verordnung („Die einzelstaatlichen Gerichte sind für die Anwendung der Art. 81 und 82 EG zuständig“) lässt denn auch keine Einschränkung der nationalen Kompetenzen mehr erkennen.
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- 11)Geiger, EuZW 2001, 116, 117. Das Urteil wird dagegen von Kamann/Horstkotte, WuW 2001, 458, 465, gegen kritische Stimmen verteidigt. Die Kommission erfülle eine wichtige Kontrollfunktion hinsichtlich der Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts; ebenso Malferrari (Fußn. 1), S. 608 und passim.
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- 12)S. oben unter II 1.
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- 13)EuGH Slg. 2000, I-11369 = WuW/E EU-R 389 = GRUR Int. 2001, 333 = NJW 2001, 1265 = EuZW 2001, 113 – „Masterfoods/HB Ice Cream“, Tz. 52: „Erst recht dürfen die nationalen Gerichte, wenn sie über Vereinbarungen oder Verhaltensweisen befinden, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, keine Entscheidung erlassen, die dieser zuwiderlaufen, selbst wenn sie im Widerspruch zu der Entscheidung eines erstinstanzlichen nationalen Gerichts steht.“ Ferner heißt es in Tz. 59, dass die Aufrechterhaltung des Unterlassungsurteils des High Court vom Bestand der Kommissionsentscheidung abhängt.
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- 14)Nach deutschem Zivilprozessrecht kommt eine Aussetzung nach § 148 ZPO ohnehin nur bei Vorgreiflichkeit in Betracht; vgl. BGH NJW 1983, 2496.
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- 15)EuGH Slg. 2000, I-11369 = WuW/E EU-R 389 = GRUR Int. 2001, 333 = NJW 2001, 1265 = EuZW 2001, 113 – „Masterfoods/HB Ice Cream“, Tz. 49.
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- 16)Dazu unten unter III 2.
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- 17)EuGH Slg. 2000, I-11369 = WuW/E EU-R 389 = GRUR Int. 2001, 333 = NJW 2001, 1265 = EuZW 2001, 113 – „Masterfoods/HB Ice Cream“, Tz. 55 und 59; kritisch hierzu auch Malferrari (Fußn. 1), S. 610 ff., der ebenfalls für den Vorrang der Nichtigkeitsklage plädiert (S. 614 f.).
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- 18)EuGH Slg. 2000, I-11369 = WuW/E EU-R 389 = GRUR Int. 2001, 333 = NJW 2001, 1265 = EuZW 2001, 113 – „Masterfoods/HB Ice Cream“, Tz. 59 a.E.
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- 19)Vgl. Zuber (Fußn. 4), S. 55 ff.
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- 20)Vgl. für eine solche Konstellation BGH WuW/E DE-R 89 – „Selektive Exklusivität“.
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- 21)EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Slg. 2000 I – 11369 (Fußn. 1), Tz. 47; EuGH Slg. 1991 I – 935 = WuW/E EWG/MUV 911 = EuZW 1991, 376 – „Delimitis/Henninger Bräu“, Tz. 45.
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- 22)EuGH, Urt. v. 10.7.1980 – Rs C-37/79, Slg. 1980, 2481, 2499 – „Estée Lauder“; Urt. v. 10.7.1980 – Rs C-99/79, Slg. 1980, 2511, 2535 – „Lancôme“; Urt. v. 11.12.1980 – Rs C-31/80, Slg. 1980, 3775, 3789 f. – „L’Oréal“; vgl. dazu Bornkamm, Anwendung des EG-Kartellrechts durch den nationalen Zivilrichter, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1992/93 (FIW Heft 158), S. 51, 55; Baur/Weyer, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rz. 164 m.w.N.
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- 23)Baur/Weyer (Fußn. 22), Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rz. 183.
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- 24)In Anlehnung an den Wortlaut von Art. 3 VO 17/62 spricht man von Abstellungsentscheidung.
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- 25)Eine strenge Bindungswirkung verneinen Schröter, in: v.d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EU-/EG-Vertrag,5. Aufl.,Art. 85 Abs. 2 EG Rz. 204; Bornkamm (Fußn. 22), S. 55 Steindorff; Europäisches Kartellrecht und Staatenpraxis – Zur Entwicklung des Europäischen Kartellrechts Teil II, ZHR 142 (1978), 525, 541; Baur/Weyer (Fußn. 22), Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rz. 168; Zuber (Fußn. 4), S. 53 ff. Eine Bindungswirkung wird von Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 340, inzwischen bejaht; weitere Nachweise bei Zuber (Fußn. 4), S. 54 Fußn. 326.
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- 26)Der Sachverhalt weist Ähnlichkeiten zu dem Verbundnetz-Fall des BGH auf: BGH WuW/E DE-R 399 – „Verbundnetz I“ – und BGH, Beschl. v. 18.2.2003 – KVR 24/01 – „Verbundnetz II“.
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- 27)Vgl. dazu oben unter II 2 b a.E.
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- 28)Zuber (Fußn. 4), S. 63 ff. Auch Weyer, der an sich eine Bindungswirkung ablehnt, hält in diesen Fällen – immer bezogen auf das Verwaltungshandeln der Kommission – eine Korrektur für erforderlich: Weyer, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für das nationale Zivilverfahren, EuR 2000, 145 ff.; ders., Nach der Reform: Gestaltung der Wettbewerbspolitik durch die Kommission?, ZHR 164 (2000), 611 ff.; ders., Konkurrierende Anwendung des Art. 81 EGV durch Kommission und nationale Gerichte, WuW 2000, 842, 849 f.; vgl. auch Baur/Weyer (Fußn. 22), Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rz. 168 f.
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- 29)Bornkamm (Fußn. 22), S. 55.
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- 30)BGHZ 73, 114, 117; BGHZ 112, 363, 365 = ZIP 1990, 1591; BGHZ 122, 1, 5; BGH, NJW-RR 1999, 308, 309 = ZIP 1999, 284 = ZfIR 1999, 99. Vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 43 Rz. 122. Dagegen wird im Amtshaftungsprozess die Rechtmäßigkeit eines Bescheids, auf dessen Rechtswidrigkeit die Klage gestützt ist, stets überprüft; vgl. BGHZ 113, 17, 18 ff.
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- 31)Vgl. BGHZ 122, 1, 5 f. In diesem Fall ging es um Auflagen im Interesse des Lärmschutzes, die in einer Baugenehmigung für eine Ballettschule enthalten waren. In der Entscheidung heißt es: „Die Auflagen in den Genehmigungsbescheiden wirken rechtsgestaltend, indem sie durch Konkretisierung entsprechender Normen gegenüber der Beklagten ein Gebot aussprechen. Abgesehen vom Fall der Nichtigkeit eines solchen Verwaltungsakts (für die hier keinerlei Anhaltspunkte vorliegen) können die Zivilgerichte daher nicht in Frage stellen, dass aufgrund einer bestandskräftigen Auflage eine entsprechende Verhaltensanordnung besteht, die die Beklagte auch befolgen muss, solange sie nicht aufgehoben oder suspendiert ist.“
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- 32)Der lauterkeitsrechtliche Anspruch gegen den Außenseiter wird heute nicht mehr gewährt, nachdem der BGH seine Rechtsprechung in diesem Punkt geändert hat; BGH WuW/E DE-R 361 – „Außenseiteranspruch I“; BGHZ 143, 232 = ZIP 2000, 1175 – „Außenseiteranspruch II“.
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- 33)EG-Kommission GRUR Int. 1982, 543 – „AEG-Telefunken“.
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- 34)BGH GRUR 1985, 396 – „5-Sterne-Programm“.
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- 35)Vgl. nur BGH LM § 148 ZPO Nr. 5; BGHZ 97, 135, 145 f. = ZIP 1986, 716. Dort ist auch ausgesprochen, dass das Ermessen auf Null reduziert und das Gericht zur Aussetzung verpflichtet sein kann. Von einer solchen Ermessensreduzierung wird man bei einer Konstellation wie im Masterfoods-Fall ausgehen müssen.
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- 36)S. oben Fußn. 5.
- 37
- 37)S. oben unter II 2 b.
- 38
- 38)Der EuGH hat allerdings in der Masterfoods-Entscheidung Slg. 2000, I-11369 = WuW/E EU-R 389 = GRUR Int. 2001, 333 = NJW 2001, 1265 = EuZW 2001, 113 – „Masterfoods/HB Ice Cream“, Tz. 58 angedeutet, dass eine einstweilige Maßnahme (man wird ergänzen können: ungeachtet der Kommissionsentscheidung) zulässig sein kann.
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- 39)Damit ist offenbar die Ankündigung nach Art. 27 Abs. 1 KartVerfVO (vgl. Art. 19 Abs. 1 VO 17/62) gemeint.
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- 40)Oben II 2 c.
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